Was hast du gemacht, als es das Kartoffelkombinat in deinem Leben noch nicht gab?
Vor 15 Jahren sah es tatsächlich noch nicht danach aus, dass ich mich jemals für genossenschaftliche Landwirtschaft interessieren und ich mich mit gesellschaftlicher Transformation beschäftigen würde. Als leidenschaftsloser Student der BWL bereiste ich lieber ferne Länder, arbeitete sogar als Reiseleiter für Expeditionsreisen in Äthiopien oder organisierte Events für deutsche Automobilhersteller in China. Nach meinem Studium machte ich mich selbstständig als interkultureller Trainer und unterstützte multinationale Unternehmen dabei, nach Indien zu expandieren, indem ich Manager und deren Familien an die Hand nahm und auf ihrem Weg nach Inden begleitete.
Gerade als Indienberater hatte ich ein ziemlich gutes Einkommen. Doch je mehr ich die globalen Zusammenhänge verstand, desto bewusster wurde mir auch, dass soziale und ökologische Nachhaltigkeit mit unserem global praktizierten Kapitalismus unvereinbar ist. 2009 kehrte ich von Delhi nach München zurück und nahm mir eine längere Auszeit, in der ich mich intensiv mit Wissenschaftlern wie Paech, Welzer oder Dürr auseinandersetzte. Danach war für mich klar, dass ich zuallererst bei mir selbst anfangen muss. Ich wollte die bedrückenden Fakten bezüglich des Zustands unseres Planeten einfach nicht länger ignorieren und habe für mich beschlossen, wirklich etwas verändern zu wollen.
Warum engagierst du dich im Kartoffelkombinat – der Verein?
Ich bin einer der beiden Gründer des Kartoffelkombinats, war zwischen April 2012 und Mai 2019 als Vorstand der Genossenschaft tätig und 2016 auch Mitgründer unseres gemeinnützigen Kartoffelkombinat – der Verein e. V.
Wir haben uns, wie man so schön sagt, von Grund auf alles selbst erarbeitet. 2012 starteten wir mit keinerlei Erfahrungen in Gemüsebau und Landwirtschaft, Genossenschaftswesen oder etwa im Aufbau einer Lieferlogistik. Wir benutzten einfache Exceltabellen, Straßenkarten und einen Hochdachkombi, in dem wir den ersten Testphasenhaushalten ihre Ernteanteile noch persönlich nach Hause lieferten. Nach sieben Jahren zählten wir bei meinem Abschied als Vorstand der Genossenschaft 10 Liefertouren, über 130 Verteilpunkte und mehr als 1500 Mitgliedshaushalte, die zuverlässig ihren wöchentlichen Ernteanteil bekommen. Bei mir lagen v. a. die Bereiche Anbau und Kooperationen mit Partnerbetrieben, Organisation & Logistik sowie die Mitgliederverwaltung.
Warum ich mich jetzt im Verein engagiere?
Mit dem Aufbau unserer Genossenschaft ist auch eine Art Blaupause entstanden und ich bin fest davon überzeugt, dass diese Blaupause ein Ausgangspunkt für Transformation und Veränderung einer trägen Gesellschaftsmasse sein kann, welche sich anders kaum zu Veränderung bewegen lassen wird.
Und mit den aktuell bewilligten Fördermitteln im Verein war im Mai 2019 ein guter Zeitpunkt gekommen, um den von mir schon länger anvisierten Wechsel von der eG in den eV zu vollziehen.
Und was machst du so konkret?
Mein Herz schlägt mittlerweile v. a. für die nächsten möglichen Entwicklungsschritte der Kartoffelkombinat-Idee und ich möchte künftig als Impulsgeber u. a. mithelfen, im Sinne unseres „Kartoffelkombinat-Dorfmodells“ weitere KK-Genossenschaften in München zu gründen und das gesammelte Wissen der letzten Jahre bündeln, um es an andere interessierte Initiativen weiterzugeben. In den kommenden Monaten werde ich mit meinen Kollegen im Verein z. B. ein frei verfügbares Handbuch produzieren, welches beschreibt, wie sich eine genossenschaftliche SoLaWi ähnlich dem Kartoffelkombinat – unter anderen Grundvoraussetzungen und mit lokalen Adaptionen – aufbauen lassen könnte.
Hast du Wunschprojekte für die Kartoffelkombinat-Zukunft?
Wir haben das Kartoffelkombinat vom ersten Moment an als eine Art gesellschaftliches Experiment, eine gesellschaftliche Bewegung verstanden und sprechen seit jeher auch vom Aufbau einer neuen „Versorgungsstruktur für München“. Im Prinzip sollen dabei weitere kartoffelkombinatähnliche Organisationen immer nur so klein wie möglich und so groß wie nötig sein, damit sie sich gut selbst verwalten können. Das heißt aber nicht, dass es für das Wachstum der Idee und der Wirtschaftsweise eine Obergrenze geben muss.
Ganz konkret könnte dieser Wissenstransfer im Aufbau einer neuen KK-Organisation für München münden. Es gibt bereits erste konkrete Pläne für eine neue quartiersbezogene Grundversorgungsgenossenschaft im Münchner Nordosten. Wer beim Aufbau dieses Projekts (oder auch anderen KK-Initiativen) mitarbeiten möchte, kann sich immer gerne bei mir melden: simon@kartoffelkombinat-ev.de.
Aber auch ein anderes Beispiel zeigt, wo die Reise hingehen könnte: Wir haben mit dem Verein jüngst ein Netzwerk von genossenschaftlich organisierten SoLaWis ins Leben gerufen. Und unsere allererste, mehrtägige Tagung im März 2019 war bereits ein voller Erfolg. Ziel dieses Netzwerkes ist es, sich bestmöglich mit allen Initiativen zu vernetzen, die sich bereits nach unserem Vorbild deutschlandweit gegründet haben bzw. sich künftig als SoLaWi-Genossenschaft gründen werden. Alle Akteure teilen dabei das gemeinsame Ziel, ein transformatives Unternehmen mit Vorbildcharakter sein zu wollen. Und alle wollen nachhaltige, regionale und souveräne Versorgungssysteme etablieren. Das ist so motivierend, dass ich ernsthaft beginne daran zu glauben, dass uns der Weg aus der gesellschaftlichen Nische doch gelingen kann.